Die ersten 24 Stunden mit ChatGPT‑5 – ein Praxistest für den IT‑Alltag
Ausgangslage und Erwartung
OpenAI hat mit GPT‑5 den nächsten großen Versionssprung eingeläutet. Versprochen werden mehr Tempo, spürbar bessere Schlussfolgerungen und robuste „Agentic“-Fähigkeiten – also längere Aufgabenketten mit Tools und Dateien zuverlässig abarbeiten zu können. Für uns als IT‑Dienstleister war die Frage klar: Löst GPT‑5 in der Praxis wirklich Probleme schneller und sicherer als seine Vorgänger – und lohnt sich der Umstieg für typische Aufgaben von kleinen und mittleren Unternehmen in unserer Region zwischen Koblenz und Bonn?
Testaufbau: Realistische Use Cases statt Labordemos
Für die ersten 24 Stunden haben wir ausschließlich typische Kundenaufgaben nachgestellt und keine künstlichen Benchmarks verwendet. Dazu gehörten:
Ein kleines Frontend‑Prototype (Formular + Validierung) aus einer textlichen Funktionsbeschreibung generieren lassen.
Eine PowerShell‑Routine zur Benutzer‑ und Share‑Anlage entwerfen, härten und dokumentieren.
Ein kurzes Interims‑Konzept für „WLAN‑Refresh + Gästezugang“ erstellen (inkl. Risiko‑ und Maßnahmenübersicht).
Eine Datenschutz‑Einwilligung sprachlich vereinfachen, ohne juristische Aussagen zu verändern.
Eine mehrseitige PDF mit Netzwerk‑Screenshots zusammenfassen und offene Punkte in Aufgaben umwandeln.
Einen Fehler in einer bestehenden Backup‑Skriptsammlung finden und den Fix nachvollziehbar erklären lassen.
Geschwindigkeit und Stabilität
GPT‑5 antwortet merklich schneller, und diese Beschleunigung ist in nahezu allen Testaufgaben spürbar. Selbst bei komplexen Dialogen mit vielen Rückfragen und Nebenthemen bleibt der Gesprächsfluss stabil, ohne dass der Kontext „abreißt“. Lange Aufgabenketten – etwa „Analyse → Konzept → Umsetzungsvorschlag → Prüfliste“ – lassen sich mit deutlich weniger Steuerimpulsen bewältigen, weil das Modell frühere Aussagen präzise im Gedächtnis behält und konsistent darauf aufbaut. Besonders bei mehrstufigen Arbeitsanweisungen, die Zwischenergebnisse erfordern, bleibt der rote Faden klar erkennbar und die Antworten wirken logischer verknüpft. Subjektiv fühlt sich die Latenz niedriger an, was den Eindruck einer schnelleren Reaktionsbereitschaft verstärkt; entscheidend ist dabei, dass diese höhere Geschwindigkeit nicht zulasten der inhaltlichen Konsistenz oder Genauigkeit geht.
Reasoning: Mehr Struktur, weniger Raten
Auffällig ist, wie sauber GPT‑5 komplexe Aufgaben in Teilschritte zerlegt. Wenn man ausdrücklich um „gründliches Nachdenken“ bittet, priorisiert das Modell erklärtes Vorgehen und überprüfbare Zwischenergebnisse. Halluzinationen haben wir seltener beobachtet, ganz verschwunden sind sie nicht – vor allem, wenn Quellenlage oder Anforderungen unklar sind. Positiv: GPT‑5 markiert Unsicherheiten häufiger und fragt gezielter nach.
Coding: Von Boilerplate zu brauchbaren Bausteinen
Beim Programmieren punktet GPT‑5 mit drei Dingen: Erstens deutlich kürzere Wege zu funktionierendem Boilerplate – etwa bei gängigen Frameworks wie React mit Tailwind‑CSS, API‑Handlern oder Validierungsroutinen –, wobei die generierten Grundgerüste oft schon sinnvolle Default‑Werte und eine saubere Struktur enthalten. Zweitens ein nachvollziehbares und schrittweise erklärtes Refactoring bestehender Snippets, bei dem das Modell die Gründe für jede Änderung offenlegt und so die Nachvollziehbarkeit für Entwickler erhöht. Drittens eine verbesserte Fehlersuche in heterogenen Codebasen, bei der nicht nur der fehlerhafte Abschnitt identifiziert, sondern auch der zugrunde liegende logische oder strukturelle Konflikt erläutert wird. Selbst komplexe Frontend‑Beschreibungen werden mit hoher Treffsicherheit in UI‑Skeletons übersetzt, die funktional einsetzbar sind. In unseren Tests zeigte sich außerdem, dass GPT‑5 beim Generieren von Code für spezifische Business‑Logiken in KMU‑Anwendungen präzisere Fragen stellt, um die Anforderungen zu klären. Dennoch gilt: Die Lösungen sind nicht deterministisch, variieren also zwischen Durchläufen, und produktiver Code braucht weiterhin sorgfältiges Review, Unit‑Tests, Security‑Checks sowie gegebenenfalls Anpassung an unternehmensinterne Standards.
Multimodal: Dateien, Screenshots, Logs
Im Umgang mit Dateien wirkt GPT‑5 belastbarer. Netzpläne, Konfig‑Screenshots oder Logauszüge werden strukturierter zusammengefasst und in Aufgaben überführt. Für Admin‑Doku und Übergaben ist das ein Zeitgewinn. Grenzen sehen wir bei unscharfen Bildern, handschriftlichen Notizen und sehr langen, schlecht formatierten PDFs – hier sind kurze Vorstrukturierungen weiterhin sinnvoll.
Längere Tool‑Ketten („Agentic Workflows“)
Eine Stärke der neuen Generation ist das konsequente Abarbeiten längerer Ketten, etwa: „Lies Datei A und B → vergleiche Soll/Ist → schlage Maßnahmen vor → formuliere Kundentext → erzeuge To‑Do‑Liste für Techniker“. Diese Sequenzen liefen in unseren Tests stabil durch, inklusive Rückbezug auf vorherige Zwischenergebnisse. Für interne Playbooks (Onboarding, Patch‑Wochen, Audits) eröffnet das echte Automatisierungsschritte – vorausgesetzt, man definiert klare Eingaben, Ziele und Abbruchkriterien.
Qualität bei Business‑Texten
Für B2B‑Kommunikation liefert GPT‑5 einen erwachseneren Ton: weniger Ausschmückung, mehr Struktur. Projektzusammenfassungen, Change‑Notices und Service‑Updates wirken präziser. Gleichzeitig bleibt es wichtig, regionale Bezüge, konkrete SLA‑Fakten und rechtliche Formulierungen selbst zu setzen – hier sollte das Modell Vorschläge machen, die finale Verantwortung liegt aber weiterhin beim Menschen.
Sicherheit und Governance im Alltag
Sichtbar verbessert wurde die Tendenz, unsichere Vorschläge zu vermeiden (z. B. riskante Registry‑Tweaks ohne Backup‑Hinweis). Auch Kennzeichnung von Annahmen haben wir häufiger beobachtet. Trotzdem: Unternehmensinterne Daten sollten nur über klar geregelte Wege mit dem Modell geteilt werden. Für sensible Dokumente empfehlen wir weiterhin ein Rollen‑/Freigabekonzept, Maskierung personenbezogener Daten und ein Vier‑Augen‑Prinzip bei sicherheitsrelevanten Outputs.
Grenzen und Kinderkrankheiten
Ganz ohne Reibung läuft es nicht. Gelegentlich überschätzt GPT‑5 die nötige Tiefe („overthinking“) und bearbeitet selbst einfache Aufgaben mit einer übertriebenen Detailtiefe, was zu längeren Antwortzeiten führen kann. Seltene, aber sichtbare Aussetzer betreffen nach wie vor triviale Details wie Zeichenzählen, einfache Geografie oder das Verwechseln ähnlicher Produktnamen – Phänomene, die aus früheren Versionen bekannt sind, wenn auch nun seltener auftreten. Deutlicher spürbar sind beim Rollout jedoch die Model‑ und Funktions‑Limits: Nicht jedes Konto hat sofort Zugang zu allen Fähigkeiten wie etwa erweiterter Multimodalität oder längeren Kontextfenstern. Bei kostenlosen Konten ist die tägliche Anzahl an GPT‑5‑Abfragen deutlich geringer als bei Plus‑ oder Pro‑Nutzern, und selbst in den kostenpflichtigen Stufen gibt es Limitierungen, z. B. zeitbasierte Nutzungskontingente, Priorisierung in Spitzenlastzeiten oder eine Begrenzung für parallele längere Tool‑Ketten. Das kann bedeuten, dass bei intensiver Nutzung bestimmte Funktionen vorübergehend nicht verfügbar sind oder das Modell automatisch auf eine leichtere Variante wechselt.
Vergleich zu GPT‑4‑Familie
Gegenüber 4o/4.1/4.5 bemerkt man drei praktische Vorteile: verlässlicheres Durchhalten langer Aufgabenketten, bessere Quelltext‑Ergebnisse bei geringerem Prompt‑Aufwand und zuverlässigere Selbstkontrolle (Erkennen von Lücken, Nachfrage bei Unklarheiten). Reine Wissensfragen ohne Kontext wirken nicht dramatisch anders – den Unterschied spürt man vor allem in Projektsituationen, in denen mehrere Artefakte entstehen sollen.
Einschätzung für KMU‑Szenarien in der Region
Für Unternehmen zwischen Koblenz und Bonn, die IT‑Aufgaben mit schmalen Teams stemmen, ist GPT‑5 ein sinnvolles Upgrade: von der Angebotsskizze über Migrations‑Checklisten bis hin zu Wartungsprotokollen. Es beschleunigt die Zuarbeit, ersetzt aber keine Fachprüfung. Wer heute bereits strukturierte Vorlagen, SOPs und Ticket‑Workflows nutzt, wird den größten Hebel sehen – denn GPT‑5 füllt Lücken in bestehenden Prozessen deutlich disziplinierter.
Fazit: Reifes Werkzeug – mit sinnvoller Skepsis nutzen
Nach 24 Stunden bleibt der Eindruck: GPT‑5 ist kein Marketing‑Gag, sondern eine spürbare Weiterentwicklung für den produktiven IT‑Alltag, wenngleich nicht ohne berechtigte Kritikpunkte. Es reduziert Fehltritte, hält längere Ketten zusammen und liefert bei Code und Doku mehr Substanz pro Prompt. Gleichzeitig zeigen die ersten Tests, dass GPT‑5 wie jede KI den Gesetzen seiner Trainingsdaten und Architektur unterliegt: Bei ethisch sensiblen Themen, kreativen Interpretationen oder sehr fachspezifischen Fragen ist weiterhin menschliche Kontrolle nötig, um Fehldeutungen, unvollständige Quellenarbeit oder einseitige Darstellungen zu vermeiden. Kritiker bemängeln zudem, dass der größere Leistungsumfang mit restriktiveren Nutzungsgrenzen und höheren Einstiegskosten einhergeht – ein Aspekt, der vor allem kleinere Unternehmen oder Privatnutzer einschränken kann. Die bekannten Grundsätze bleiben daher gültig: klare Aufgabenstellung, kleine Iterationen, Ergebnisse gegenprüfen. Unter diesen Bedingungen und mit dem Bewusstsein für die technischen wie gesellschaftlichen Limitierungen ist GPT‑5 ein produktiver Zugewinn – besonders dort, wo viele kleine, strukturierte Arbeitsschritte jeden Tag Zeit kosten.